Ngöndro – das Eigentliche!

von Ngala Nor’dzin Pamo

„Ngön-dro“ bedeutet „vor dem Gehen“. Das „dro“ ist das gleiche wie in khandro, Himmelsgeherin. Jemand, der sich in der Praxis des Ngön-dro betätigt, ist mit den Grundlagen oder den vorbereitenden Praktiken beschäftigt – die Praxis, die – verbunden mit einem bestimmten Yana dem Hauptteil vorangeht. Daraus folgt, dass Ngön-dro eine Art Aufwärmübung ist, die zum Eigentlichen führt. Aber das ist nicht die richtige Sichtweise. Es ist charakteristisch für Ngön-dro, dass diese Praktiken den gesamten Pfad beinhalten, so wie jede Methode ein Fraktal des gesamten Pfades ist. Wenn man sich ganz der Praxis des Ngön-dro auf einer Erfahrungsebene verpflichtet, kann Realisation erreicht werden. Wenn die Tiefe und Bandbreite von Ngön-dro wertgeschätzt und erkannt wird, kann der ganze Pfad aus dieser Sicht verstanden und praktiziert werden. Ngön-dro ist keine Aufwärmübung oder weniger als das Eigentliche! Es ist möglich, Ngön-dro zu seiner eigentlichen Praxis zu machen.

Aus der Dzogchen Perspektive gibt es die drei Fahrzeuge Sutra, Tantra und Dzogchen, wovon jedes eine Grundlage, einen Weg und eine Frucht hat. Der Focus von Ngön-dro ist die Grundlage. Ngön-dro ermöglicht dem Praktizierenden an der Basis des Fahrzeuges anzukommen, um sich dann dem Pfad voll zu verpflichten und die Frucht zu realisieren. Obwohl es als vorbereitende Praxis beschrieben wird, beinhaltet Ngön-dro paradoxerweise sowohl Elemente des Pfades, als auch der Frucht des Fahrzeuges. Wie vorher schon erwähnt, repräsentiert jede buddhistische Methode, Ngön-dro Praxis eingeschlossen, eine mikrokosmische Reflektion des Makrokosmos. Im Buddhismus kann jede Praxis zur Realisation führen, unabhängig von ihrem Fahrzeug und ihrem bestimmten Zweck.

Die Grundlage von Sutra beruht auf einer allgemeinen Erfahrung, der Erfahrung von Unzufriedenheit. Die Erkenntnis, dass was auch immer wir erreichen, was auch immer wir erfahren, wie viel wir auch lieben und hassen, kaufen und verkaufen, erschaffen und zerstören, wie tief wir auch die Sinnesfelder und den Intellekt erfahren, sich schließlich alles als unbefriedigend herausstellen wird, wenn wir versuchen unsere Sicherheit in der Form der Erfahrung zu finden. So ist das Ngön-dro von Sutra, ein erfülltes Leben zu leben, eine Vielfalt von Erfahrungen zu machen und eine Palette von Gefühlen zu erleben, die Ebbe und Flut des normalen Lebens durch Verlust und Schmerz, durch Glücklichsein und Lachen zu entdecken. Allgemein ist keine Ngön-dro Praxis als Grundlage von Sutra spezifiziert, aber die vier Gedanken, die den Geist auf die Praxis richten, lo-tog nam-zhi, können als Grundlagenpraxis angesehen werden.

Dudjom Rinpoche spricht von lo-tog nam-zhi als den Übungen, die eine angemessene Motivation erzeugen. Diese vier Gedanken umfassen: Kontemplation über die Schwierigkeit eine perfekte menschliche Geburt zu erlangen; Reflektion über Vergänglichkeit und Tod; Verstehen, wie Karma entsteht; Erkennen, dass die zyklische Existenz, die in der dualistischen Sicht gründet, unbefriedigender Natur ist. Obwohl diese vier Gedanken allgemein nicht als Ngön-dro beschrieben werden, machen sie, wenn man sie in ihrer Tiefe bedenkt, Praxis zu einem Imperativ. Auf diese Weise bringen sie einen zur Grundlage der Praxis und dazu, die Notwendigkeit spiritueller Praxis zu verstehen. Wenn ihre Bedeutung wirklich verstanden wird, bringen sie uns in eine Situation, in der es unmöglich ist, sich nicht der spirituellen Praxis zu widmen.

Die kostbare menschliche Geburt bezieht sich nicht nur darauf, als Mensch wiedergeboren zu werden, sondern auch darauf, menschlich zu sein in einem menschlich aussehenden Körper. Mensch zu sein als kostbar oder selten zu betrachten, im materiellen Sinn von – in diese Körperform wiedergeboren zu werden – erfordert einen Grad von Glauben an die Idee von Wiedergeburt und Transmigration zwischen den Existenzbereichen. In traditionell tibetischen Lehren werden die sechs Existenzbereiche als Höllenwesen, hungrige Geister, Tiere, Menschen, Halbgötter und Götter benannt. Normalerweise sind wir uns anderer Bereiche nicht bewusst, und mögen sie als Phantasie abtun, aber wir sind uns des Tierreichs bewusst und können uns vorstellen, wie schwierig es ist, sich in diesem Bereich der Praxis zu verpflichten. Das Leben von Tieren ist regiert von der Notwendigkeit, Futter und Schutz zu finden, der Dringlichkeit sich fortzupflanzen und der ständigen Furcht vor Raubtieren, ohne Muße und Freiheit sich in intellektueller oder einsichtsvoller Praxis zu engagieren. Solch eine Existenz verhindert Taten der Selbstlosigkeit oder des Mitgefühls bzw. macht sie extrem rar. Solche Taten könnte man dort nur im Zusammenhang einer Mutter- Kind Beziehung sehen und oft nicht mal da. Deshalb ist es selbst auf der Ebene einfacher Güte schwierig, sich im Tierbereich in spiritueller Aktivität zu engagieren.

Dieser Daseinsbereich mag die Grenze für einen normalen Blick auf die Daseinsbereiche sein, deshalb ist es nützlicher und zugänglicher, die sechs Daseinsbereiche als psychologische Zustände zu verstehen. Wie oft sind wir wahrhaft menschlich? Wenn wir geistbetäubende Vergessenheit in Alkohol, Fernsehen oder ähnlichen Beschäftigungen suchen, von Begierde, Zwanghaftigkeit und Verlangen überwältigt sind oder einfach keine Lust haben, überhaupt etwas zu tun, sind wir dem Tierbereich näher. Wenn unser Leben glücklich und freudvoll ist, so dass wir unsere Zeit und Energie mit Frivolitäten verschwenden, dann verweilen wir in der Götterwelt. Wenn wir mehr verbrauchen als wir benötigen, und uns auf Besitzen und Verschlingen fixieren, unfähig die Bedürfnisse anderer um uns herum zu sehen und zu teilen was wir haben, dann hat sich der hungrige Geist in uns erhoben. Wenn unser Geist und unsere Herzen stumpf werden von einer sich nach innen drehenden Spirale aus Zorn und Angst, die alle Objekte und Situationen als bedrohlich sieht und mit Aggression beantwortet, dann leben wir in einem persönlichen Höllenbereich. In Zeiten in denen wir fühlen, dass alle besser dran sind als wir selbst und über uns lachen oder reden, so dass unser Verhalten voller Argwohn und nervöser Auseinandersetzungen ist, haben wir den Daseinsbereich des Halbgottes kreiert. Der menschliche Daseinsbereich bietet eine Balance an Erfahrung von Unzufriedenheit wir verbringen weder die ganze Zeit im Götterbereich, noch im Höllenbereich und weckt dadurch die Möglichkeit der Verwirklichung unserer Kondition. So sind die kostbaren Momente eines menschlichen Lebens die, die wir wirklich im menschlichen Daseinsbereich verbringen, und das kann selten sein, außer wenn wir aktiv einem spirituellen Pfad verpflichtet sind. Auch wenn wir in der Lage sind, in unserer Menschlichkeit zu sein, mag es andere Faktoren geben, die uns von spiritueller Praxis fernhalten, wie extreme Armut und Fehlen von Kapazität, physisch oder mental; Fehlen von Freizeit aufgrund der Last von Verantwortung; oder die Unmöglichkeit Kontakt zu einer spirituellen Tradition herzustellen auf grund von familiären oder geographischen Gegebenheiten. Auf diese Weise können wir anfangen, die Kostbarkeit und Seltenheit des Moments zu verstehen, in dem wir beides sind: menschlich und fähig, uns der Praxis zu widmen, und wir mögen dazu in der Lage sein, diese Momente zu schätzen und in unserem Leben zu fördern.

Der zweite Gedanke, der unseren Geist auf die Praxis lenkt, ist die Besinnung auf Vergänglichkeit und Tod. Im Westen ist es sehr schwierig mit dem Tod in Kontakt zu kommen. Während ich dies schreibe, bin ich fast fünfundvierzig Jahre alt und habe nie einen toten Körper gesehen. Mit siebzehn war es mir nicht erlaubt den Körper meines Bruders zu sehen, oder den meines Vaters mit dreiundzwanzig. In wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern ist es üblich, mit Toten und Sterbenden in Kontakt zu kommen und sich der eigenen Sterblichkeit stärker bewusst zu sein. Dies könnte man als eine gesündere und realistischere Herangehensweise betrachten. Beträchtliche wissenschaftliche Anstrengung ist darauf konzentriert, ein Heilmittel fürs Altern zu finden und manche Wissenschaftler scheinen wirklich zu glauben, dass sie Menschen eines Tages am Sterben hindern können. Auch wenn uns die Kontemplation über Tod in einer realen und greifbaren Art vorenthalten ist, so können wir uns immer noch der täglichen Vergänglichkeit von Personen und Objekten bewusst sein. Die Person, die ich mit vierzig, dreißig, zwanzig, zehn, fünf oder vor einem Jahr war, ist für mich jetzt tot- und ebenso die Person, die gerade diesen Satz geschrieben hat! Jedes Objekt der Wahrnehmung ist nur im Moment seiner Wahrnehmung “lebendig”, und existiert danach nur noch als Erinnerung oder Phantasie. Wenn wir wirklich die Bedeutung der Gegenwart und des Todes in jedem Moment erfassen wollen, beginnt es uns wichtig zu werden, dass wir wirklich im Moment da sind – dass wir nicht weg sind auf einem Flug der Imagination, verloren in einer Erinnerung oder einfach abgestumpft und unbewusst. Der gegenwärtige Moment beginnt zu flackern, als dynamischer Funke von Direktheit, der zwingend stark und lebendig ist. Der Weg unsere Verbindung mit dieser Dynamik zu wecken, ist Praxis.

Die Erfahrung von Unzufriedenheit ist allgemein bekannt als Erfahrungsgrundlage von Sutra. Unzufriedenheit entsteht, indem man Samsara wieder und wieder versucht, und entdeckt, dass wie gut auch immer man darin wird, wie viel Glück auch immer man entdeckt, wie viel materielle Bequemlichkeit oder Erfahrung man auch ansammelt… es nie genug ist. Schließlich ist ein Punkt der Erschöpfung erreicht, wenn wir merken, dass wir nicht noch mal im Kreis gehen können, um Dinge aufzubauen, weil wir erkennen, dass sie wieder zerfallen. Jeder erfährt diese Unzufriedenheit, aber nur wenige lassen sich dadurch zu spiritueller Praxis inspirieren. Es ist eher üblich, Komfort im Konsumieren von Erfahrung oder Erzeugnissen zu suchen; jemanden oder etwas für das Gefühl der Unzufriedenheit verantwortlich zu machen, um sich im Erleben dieser Emotion wieder real zu fühlen oder Vergessen in Sinnlosigkeit zu finden und auf die Erfahrung umzuschalten, sich selbst zu erlauben, etwas abzustumpfen. Aus der Sicht der Elemente entsteht die Erfahrung der Unzufriedenheit aus der Erkenntnis, dass Festigkeit, Dauer, Trennung, Kontinuität, und Definition von uns selbst und unserer Situation fehlen. Die Form unserer Selbst und unserer Situation wird sich natürlicherweise ändern und wir erleben diesen Wandel als Leerheit. Unser Haften an der Form bedeutet, dass wir diese Leerheit als unbequem und unbefriedigend erfahren und uns wünschen, die Form möge bleiben – aber das tut sie nie. Es ist leider die Natur der Form flüchtig zu sein.

Der sutrische Pfad führt uns zu einem auf Erfahrung beruhenden Verständnis von Leerheit, so dass wir uns vertraut und wohl damit fühlen können, Form loszulassen. Dieses Loslassen (Entsagen) und uns selbst erlauben zu sehen, kann in einem Augenblick geschehen. Wenn wir augenblicklich realisieren, dass – was immer auch entsteht – vergänglich ist, dass keine Spur von einem festen getrennten Selbst in unserem Leben gefunden werden kann; wenn Verständnis entsteht, dass es keine Einheit gibt – wie klein wir auch die Phänomene aufzuteilen vermögen die von Moment zu Moment weitergeht, oder von Leben zu Leben; wenn wir entdecken, dass der Versuch uns durch materielle Manifestation und Erfahrung zu definieren einfach nicht funktioniert… dann ist das alles, was nötig ist. So beinhaltet das Ngöndro sowohl den Pfad, als auch die Vorbereitung. Solche Realisation kann die direkte Einführung in den Zustand von Rigpa sein, so dass wir nur ohne Zweifel verweilen und im Zustand der Realisation fortfahren brauchen.

Der vierte Gedanke, der den Geist auf die Praxis richtet, ist Karma – das Gesetz von Ursache und Wirkung. Karma wird oft im Sinne von geschickten und ungeschickten Handlungen gelehrt, und die Ansammlung von Verdienst, um die Ansammlung falscher Taten auszurotten. Das kann eine ziemlich fatalistische Sichtweise werden und uns alle in Buchhalter verwandeln, indem wir versuchen unsere Bücher täglich auszugleichen und herauszufinden, ob wir die Dinge heute in Richtung Verdienst gelenkt haben oder nicht. Durch diese Sicht von Karma können wir ziemlich verschlossene, überwachsame und vorsichtige Menschen werden, denen es an Spontaneität und Dynamik fehlt. In der Dzogchen Herangehensweise existiert Karma allein im jetzigen Moment. Karma ist Wahrnehmung und Reaktion. Wir nehmen wahr und wir reagieren, und diese Reaktion hat uns entweder noch fester in ein Gewohnheitsmuster eingeschlossen, eine neue neurotische Gewohnheit geschaffen oder ist eine Gelegenheit zur Realisation gewesen. Am Punkt der Wahrnehmung ist die Wahl immer unsere, auf der Grundlage eines jeden Momentes, wenn wir praktizieren und die Kapazität entwickeln, dies zu verwirklichen.

Der rote Faden, der sich durch diese vier Gedanken der Seltenheit der kostbaren menschlichen Wiedergeburt, Vergänglichkeit und Tod, der Erfahrung von Unzufriedenheit, und Karma zieht, ist Nichtdualität. Es ist unsere Anhaftung an Form, die das Problem schafft, und unsere Unfähigkeit der Form das Kommen und Gehen, Wechsel und Bewegung zu erlauben. So ist der ganze buddhistische Pfad in diesen vier Gedanken gegenwärtig, sowie in allen Lehren.

Der sutrische Pfad arbeitet mit Form auf der Ebene von Nirmanakaya, der Manifestation des Seins auf der Formebene, um uns zu ermöglichen, Leerheit zu verwirklichen. Der sutrische Pfad zielt auf die Verwirklichung von Leerheit des Selbst und der Phänomene ab; darauf, dass Festigkeit, Dauer, Getrenntsein, Kontinuität und Definition nur im Moment existieren. So ist der sutrische Pfad durch die Hauptpraxis des Loslassens gekennzeichnet. Wenn wir uns dem sutrischen Pfad verpflichten, müssen wir unsere gewöhnliche Lebensperspektive loslassen. Das normale Leben wird aus der Perspektive der Achtsamkeit und Analyse her angegangen, um die Verwirklichung von Leerheit zu erreichen. Die Praxis des Loslassens mag so weit gehen, dass man sich vom normalen Leben zurückzieht und sich in die geregelten Grenzen des klösterlichen Lebens begibt. Die mächtige Energie der Begierde wird ermutigt nachzulassen, um die Entdeckung der stillen, leeren, potenten Weite, die unter dieser liegt, möglich zu machen. Unsere Beziehung zu uns selbst und unserer Erfahrung verändert sich während wir uns von unserer normalen Sicht lösen. Diese Übung des ständigen sich Lösens erlaubt die Schaffung eines Zeitpunktes, an dem Verwirklichung jäh ins Dasein explodieren kann. Im Wesentlichen bedeutet der sutrische Pfad sich von gewöhnlicher Sicht zu lösen und damit aufzuhören, sich selbst im Weg zu stehen, so dass die verwirklichte Sichtweise natürlich und spontan entstehen kann.

Auf der sutrischen Ebene ist der Körper ein Problem, weil wir an ihm als einem Referenzpunkt hängen und dies behindert unseren Fortschritt in Richtung der Verwirklichung von Leerheit. So müssen die Bedürfnisse des Körpers gebändigt und kontrolliert werden. Dies trifft im Tantra nicht länger zu, weil Tantra mit der Samboghakaya Ebene zu tun hat, der Sphäre der Energie und Vision. Tantra beginnt auf der Grundlage der Verwirklichung von Leerheit und erlaubt der Form wieder zu erstehen, sodass mit Form aus der Sicht der Verwirklichung von Leerheit gespielt wird. Hier arbeiten wir mit dem subtilen Körper von Thiglé, rLung und Tsa und nicht mit dem grobstofflichen Körper von Geist, Rede und Physikalität, obwohl beide von der Praxis beeinflusst werden. Der Körper wird nicht länger als potentielle Falle für Anhaftung angesehen, sondern als Werkzeug zur Verwirklichung. Der subtile oder psycho-physische Körper wird direkt von den Übungen des tantrischen Ngöndro beeinflusst. Tsa werden durch die Übung der Niederwerfungen beeinflusst; rLung wird durch das Rezitieren des Ögyen Dorsem Mantras und Thiglé von den Mandala Opferungen beeinflusst.

Tantra spielt mit Form aus der Sicht der Erfahrung von Leerheit. In dieser Sphäre zaubert Tantra mit der Energie von Existenz und Nichtexistenz: da war Form und das war vertraut und bequem; dann war da Leerheit und das war explosiv und unbequem, aber wir begannen fähig zu sein, dort zu verweilen. Nun im Tantra gibt es Leerheit und Form – aber die Form ist Leerheit… nein ist sie nicht, sie ist wieder Form… nein ist sie nicht, ist wieder Leerheit…Wenn wir Tantra praktizieren, spielen wir mit der Energie, die wir entdecken, die von Natur aus in allem präsent ist, was wir sind und erfahren – die Energie von Begierde, Zorn, Freude, Verwirrtsein usw. Die Betonung liegt nicht mehr auf Loslassen, sondern auf Transformieren. Wir haben die Explosion der Verwirklichung erfahren (dicht gefolgt vom Wimmern des Wiedererstehens der gewöhnlichen Sicht!) und haben so etwas Erfahrung vom Potential gewonnen. Indem wir das Wissen der Erfahrung dieses Potentials benutzen, schaffen wir die Bedingungen ihm zu erlauben, immer wieder zu erstehen. Die Transformation, die versucht wird, ist die, Leerheit zu sehen und Form zu sehen, ständig und wiederholt davon verwirrt zu werden, welche welche ist, und die Energie dieser Verwirrtheit zu fühlen, bis sie sich in die Verwirklichung ihrer Nichtdualität verwandelt. Wir versuchen dualistische Sicht in nicht-dualistische Sicht und gewöhnliches Leben in erleuchtetes Leben zu verwandeln.

Das Ngöndro des Tantra ist deshalb sehr verschieden von dem des Sutra. Dieses Ngöndro besteht aus den vier grundlegenden Übungen der 100.000 Niederwerfungen, Mandala Opferungen, Reinigungsmantra Rezitationen und Guruyoga Übungen (lama`i naljor). Diese Übungen machen sich Geschwindigkeit, Bewegung und Rhythmus des verwirrten Geistes zunutze. Es ist eine Menge Aktivität und Energie in den Praktiken. Sie beziehen sich auf die wahre Natur von Körper, Rede und Geist und zaubern mit der Energiesphäre zwischen Verwirrtheit und Klarheit. Der Focus des tantrischen Ngöndro ist der Lama in verschiedenen Formen und mit verschiedenen Herangehensweisen, und die angewandte Methode ist das Symbol. Dies erfordert einen Grad von Vertrauen in den Lama, als eine erreichbare Repräsentation der Erleuchtung und die Bereitschaft, sich auf der Ebene des Sambogakaya, der Sphäre der Energie, Visualisation und Mantra zu verpflichten. Das Prinzip von Tantra ist Kontinuität und diese liegt der Ngöndropraxis zugrunde. Im Sutra lag die Betonung darauf, die Gelegenheit eines Zeitpunktes für die Explosion der Realisation zu schaffen. Im Tantra liegt die Betonung darauf, Bedingungen für die Kontinuität dieses Zeitpunktes zu schaffen, so dass die Explosionsmomente des Geistes ein leerer Faden von Realisation werden, eine Kontinuität.

Während wir in endlosen dualistischen Projektionen gefangen sind, und täuschende Unzufriedenheit erfahren, müssen wir unsere Zuflucht als äußerlich betrachten. Wir nehmen Zuflucht zu Sang-gye, dem Erwachten, zu Chö, den Methoden, die dazu führen, zur Realität, so wie sie ist, zu erwachen und zu Gendün, den Praktizierenden auf dem Weg, die unsere Quelle von Inspiration und Zielstrebigkeit sind. Während wir Niederwerfungen machen, rezitieren wir die Zufluchtsformel. Mit dem Geist visualisieren wir Padmasambhava, mit der Rede rezitieren wir die Zufluchtsformel und mit unserem Körper führen wir die physische Aktivität der Niederwerfungen aus. Padmasambhava ist der tantrische Buddha, der realisierte Meister, der die tantrischen Lehren nach Tibet brachte. Deshalb visualisieren wir ihn und nicht Shakyamuni Buddha, den sutrischen Meister. Nach und nach gelangt man zu der Erkenntnis, dass die Objekte der Zuflucht nicht außen sondern innen sind. Wir verbeugen uns vor einem außen visualisierten Padmasambhava, der der vollkommen Erwachte ist, aber unsere Natur des Geistes ist nicht getrennt oder verschieden von der Natur des Geistes unseres Lamas. Der gewöhnliche Geist, der volles Erwachen visualisieren kann, muss den Samen des vollen Erwachens in sich tragen. Die Rede, die Mantra rezitieren und mit der Energie Padmasambhavas durch das Mantra kommunizieren kann, muss den Samen verwirklichter Energie beinhalten. Der Körper, der sich vor Padmasambhava verneigen und die Hingabe dieser Aktivität fühlen kann, muss den Samen des verwirklichten Freudenkörpers in sich tragen. So sind die Objekte unserer Niederwerfungen verwirklichter Körper, Rede und Geist, und werden von unseren eigenen Körper, Rede und Geist ausgeführt. Wenn man ein Buch lesen kann und dessen Inhalt versteht, dann kann man nicht getrennt sein vom Verständnis dessen, was in den Worten des Buches ausgedrückt wird. Wenn man sich der Praxis der Niederwerfung, Mantra Rezitation und Visualisierung verpflichten kann, hat man eine Verbindung zu diesen Praktiken, die durch Wiederholung nur stärker und tiefer werden kann.

Während wir Niederwerfungen praktizieren, rezitieren wir außerdem die Formel für die Erzeugung von Bodhicitta das ist der Wunsch, dass alle Wesen frei von Samsara sein mögen. Aus der relativen Perspektive gesehen, gibt es einen Geist, der diesen Wunsch hervorbringt und Wesen, die zu befreien sind; mitfühlende Sicht, die es zu erzeugen gilt und mitfühlende Aktivität, der man sich verpflichtet. Aus einer höchst subtilen Perspektive jedoch, sind Samsara und Nirwana eine Illusion und es gibt kein Wesen, um Bodhicitta zu erzeugen und keine Wesen, um Gegenstand von Bodhicitta zu sein. Dennoch kann durch die Praxis der Niederwerfungen eine experimentelle Perspektive der Leerheit von Subjekt und Objekt entstehen. Niederwerfungen sind eine körperlich anstrengende Praxis, die unsere Intellektualismus Sucht durchschneidet. Es ist schwierig, Konzepte aufrecht zu erhalten, wenn man sich fortwährend auf den Boden wirft und wieder aufsteht. Es ist etwas ungemein sinnloses in dieser Aktivität, die deine Knie schmerzen, dich schwitzen und außer Atem geraten lässt, dass sich Konzepte auflösen. Man wird auf den Rhythmus der Bewegung fokussiert und kann sich nur auf den Moment konzentrieren, während man ein Gefühl von Selbst verliert. Ngak’chang Rinpoche sagt: Niederwerfungen sind eine Methode, die die Konfusion erschöpft, die von physischer und intellektueller Hyperaktivität verursacht wird. Von Niederwerfungen wird außerdem gesagt, sie seien gut gegen Stolz und Arroganz. Während einer Niederwerfung berühren wir uns selbst an vier Stellen mit aneinandergelegten Handflächen: zuerst auf dem Kopf, dann an der Stirn, dem Hals und dem Herzen.

Stirn, Hals und Herz Zentrum beziehen sich auf die Reinigung von Körper, Rede und Geist; den Scheitel zu berühren, verbindet uns mit erleuchteten Wesen. Diese Zentren spiegeln die vier Ebenen einer Ermächtigung wider und verbinden uns mit der Übertragung, die wir in der Ermächtigung erhalten, so dass wir unsere Verbindung mit der Ermächtigung durch diese Praxis wiederherstellen. Die Aktivität der Niederwerfungen hat Auswirkung auf das tsa-rLung System, reinigt das rLung und ermöglicht uns eine direkte Erfahrung des feinstofflichen Körpers zu erreichen.

Die Praxis der Mandala Opferungen arbeitet mit der Energie des Verlangens. Wir kreieren ein symbolisches Mandala aus Reis und wertvollen Objekten, um all das wegzugeben. Das Mandala repräsentiert alles, was wir für wertvoll halten: wertvolle Metalle, Juwelen, allen Reichtum früherer, des gegenwärtigen und zukünftiger Leben, jeden guten Gedanken, den wir je hatten und Taten, die wir je vollbracht haben, alles was wir uns an Lohnendem und Wertvollem vorstellen können. In der traditionellen Beschreibung bringen wir den ganzen Kosmos des Berges Meru dar, umgeben von den vier Kontinenten und Subkontinenten, vielverheißende Symbole, Juwelen, Elefanten, Generäle etc. Das ist die äußere Opfergabe, die wir visualisieren und physisch mit einem Mandala Opferungsset kreieren und den Objekten der Zuflucht darbringen, während wir die Mandala Opferungsformel rezitieren. In dieser Praxis kreieren wir Form, um ihr zu erlauben, sich aufzulösen, indem wir sie weggeben. Wir erbauen ein Symbol all dessen, an das wir anhaften und als Referenzpunkt benutzen können… und dann geben wir es weg. Wir betrachten die äußeren Phänomene und Wesen als andere’und glauben daher, das ein Ich’in Beziehung dazu existieren muss. Buddhistische Praxis untergräbt diese Sicht des Ich’als einem soliden, dauerhaften, getrennten, kontinuierlichen und definierten Wesen. Dadurch, dass wir einen Blick der Leerheit unserer Selbst’durch die erbarmungslose Praxis der Niederwerfungen erfahren haben, haben wir verstanden, dass da niemand ist, der sich niederwirft oder vor dem wir uns niederwerfen, nichts in das wir Zuflucht nehmen müssen oder was Zuflucht bedarf und niemanden den wir vor Samsara retten oder dem wir zu helfen versuchen müssen. Nun sagen wir: Ja, es ist wahr, dass alles eine Illusion ist, aber es ist auch wahr, dass es alle diese wundervollen, wertvollen Dinge gibt. Schau, ich kann sie dir alle in diesem Mandala zeigen. Hier, nimm es alles und sei davon erfüllt!’ Aus der Perspektive der Leerheit betrachten wir Form in all seinen wundervollen und mannigfaltigen Variationen und erlauben ihr dann, sich wieder in die Leerheit aufzulösen.

Die dritte Praxis im tantrischen Ngöndro ist die Rezitation des 100 silbigen Mantras von Ögyen Dorsem. Das ist eine Reinigungspraxis. Von der Praxis wird gesagt, dass sie unsere Natur in die reine diamantene Natur des Vajra (Dorje), Diamantzepter transformiert die nichts anderes ist, als anfanglos unzerstörbarer Weisheitsgeist. Aus einer relativen Perspektive bedeutet unsere dualistische Konfusion, dass wir Geist, Rede und Körper reinigen müssen. Diese Praxis funktioniert in der Sphäre von Sambhogakaya und Symbol. Die einzige Verbindung zur Körperlichkeit und Aktivität ist die Bewegung von Mund und Atem während der Mantra Rezitation. Die Form’unserer Unreinheit, dualistischen Neurose wird visualisiert und die Kraft, diese in die Leerheit aufzulösen, wird ebenfalls visualisiert. Wieder haben wir das Paradox, dass sich die Unreinheit selbst reinigt. Der reine’Ögyen Dorsem wird vom unreinen’Ich visualisiert. Das Mantra der Reinigung wird von meinen unreinen Körper und Rede ausgesprochen. So arbeiten wir mit Leerheit und Form auf der Ebene von Energie und Kommunikation. Das ist Nicht-Dualität, die beginnt, eine Realität zu werden. Da ist die Dualität von rein’und unrein’gemischt mit der Nicht-Dualität dessen, dass das Objekt der Reinigung und die Methode der Reinigung dieselben sind. Dadurch dass wir die vorbereitenden Übungen von Niederwerfungen und Mandala Opferung beendet haben, sind wir damit vertraut Form aufsteigen und sich auflösen zu lassen. Ögyen Dorsem beginnt auf einem tieferen und subtileren Level, durchschneidet unsere Anhaftung an Rechtfertigung und emotionale Neurosen. Wir haben die gröberen Manifestationen unseres Stolzes, unserer Anhaftung und unserer zwanghaften Abhängigkeit von Konzepten durch mechanische, physische Wiederholungen untergraben. Nun schleifen wir subtilere Ebenen von Anhaftung an Festigkeit, Dauer, Getrenntsein, Kontinuität und Definition. Mit der Reinigung von Ögyen Dorsem beginnen wir leidenschaftlichen Raum und raumhafte Leidenschaft in einer mehr energetischen Sphäre zu erfahren, die alle Ebenen unserer Existenz durchdringt. Aus einer subtilen Perspektive gibt es keine selbst existierenden Geist, Rede und Körper, die gereinigt werden können und kein Konzept von Reinheit’und Unreinheit. So führt uns die Praxis in die Natur der Realität auf der Ebene des Symbols ein. Wir verbinden uns mit der glitzernden, ursprünglichen Natur des Diamantzepters durch die Praxis von Ögyen Dorsem und erkennen diese Qualität in uns selbst und allen Phänomenen.

Die letzte Praxis des tantrischen Ngöndro ist lama’i naljor, Guruyoga, in der wir erkennen, dass unser Körper, Rede und Geist untrennbar von Körper, Rede und Geist des Lamas sind. Wir visualisieren alle unsere Lehrer und unseren eigenen Lama in der einzigen Form von Padmasambhava (oder Yeshé Tsogyel, Machig Labdrön oder eines anderen Yidams) und erhalten von Ihnen Übertragung durch Vision. Lama’i Naljor bietet die Gelegenheit spontan in den erleuchteten Zustand einzutreten, mit diesem Zustand vertraut und sich seiner sicher zu werden und letztendlich dort zu verweilen. Diese Praxis ist Tantra, die Methode der Transformation. Sie ist das Herz von Tantra und seine fundamentale Praxis, weil sie uns in die Nicht-Dualität durch Symbol einführt, die kommunikative Methode des Sambhogakaya Pfades. Lama’i Naljor ist Nicht-Dualität die Nicht-Dualität des erleuchteten Seins des Lamas und unseres eigenen erleuchteten Seins. Indem wir als der Lama entstehen und das allzeit durch die Praxis von Vajra Stolz und reine Vision aufrechterhalten, vervollständigen wir die Transformation dualistische Sicht in nichtdualistische Sicht. Vajra Stolz stellt sicher, das alle Gedanken, Emotionen und Aktivitäten kongruent damit sind, der Lama zu sein. Reine Sicht ermöglicht uns alle Wesen als Buddhas zu sehen, allen Klang als Mantra und alle Aktivität als Mitgefühl. Das ist die Praxis der Kontinuität der Nicht-Dualität von Leerheit und Form, von Reinheit und Unreinheit, von äußerem und innerem Lama zu erlauben, auf einer Basis von Moment zu Moment zu verweilen. Letztendlich ist jede Buddhistische Methode Lama’i Naljor. Das Verständnis, dass es einen gereinigten Zustand gibt, den wir anstreben können, ist der Lama. Das Verständnis, dass alles was wir sind in die Reinheit transformiert werden kann, ist der Lama. Die spontane Verwirklichung der Erfahrung ist der Lama.

Das Ngöndro des Dzogchen Sem-dé besteht aus der Praxis der vier Naljors und der Realisation der vier Thing-ngé-dzin. Die vier Naljors sind Shi-nè, Lha-tong, Nyid-mèd und Lhündrup. Die vier Ting-ngé-dzin sind Né-pa, Mi-gYo-wa, Nyam-nyid und Lhündrup. Shi-nè ist die Praxis des Loslassens und Seinlassens um bei Né-pa anzukommen: Abwesenheit mit Präsenz. Das ist die Übung um Leerheit zu realisieren. Lha-tong erlaubt der Form zurückzukehren und beobachtet sie aus der Perspektive der Leerheit um bei Mi-gYo-wa anzukommen: Unverwickelt bleiben. Hier wird Unbewegtheit in der Bewegung erkannt. Nyi-med trägt Lha-tong ein Stück weiter, indem es sich zwischen der Erfahrung von Né-pa und Mi-gYo-wa, den Nyams von Leerheit und Form, hin und herbewegt, um Nyam-nyid, die Natur der Nyams von Leerheit und Form, zu realisieren. Leerheit und Form sind die Ornamente der Existenz. Sie beschreiben die Phänomene im jeweiligen Moment, aber definieren sie nicht. Lhündrup ist die Praxis von Nyid-mèd, die spontan geworden ist und die Frucht ist ebenso Lhündrup, die spontane Erfahrung der Nichtdualität von Leerheit und Form. Dies ist der erleuchtete Zustand und die Praxis des Dzogchen. Dzogchen ist der Pfad, der uns direkte Einführung in den realisierten Zustand gewährt, und uns lehrt, wie man ohne Zweifel dort verweilt und dann in diesem Zustand fortfährt; immer, ohne Unterbrechung in allen Situationen. Dzogchen geht direkt mit der Natur des Geistes um, und ist als solches ein Weg der Dharmakayasphäre.

Die verschiedenen Yanas können mit dem Ku-sum assoziiert werden. Die drei Kayas können nicht wirklich getrennt werden und sind eigentlich eins: Nirmanakaya, Sambhogakaya und Dharmakaya sind Svabhavikakaya, die untrennbare Einheit der drei Sphären des Seins. Wir zupfen die Realität auseinander, um sie zu betrachten. Chögyam Trungpa spricht von Dharmakaya als der keimhaften Phase von Form, in der es schon schwanger ist mit der Form, die entstehen wird. Die erste Verbindung zwischen dem schwangeren Potential und der manifesten Welt führt uns in den Sambhogakaya und dann wenn diese Verbindung sich verdichtet in die Sphäre von Nirmanakaya. Trungpa Rinpoche sagt, dass die Kayas alle mit Form verbunden sind, weil Kaya Körper bedeutet. Die Leerheit des Dharmakaya ist eine schwangere Leerheit, nicht einfach eine Leere. Auch wenn wir den sutrischen Pfad mit Nirmanakaya assoziieren mögen, den tantrischen Pfad mit Sambhogakaya und den Dzogchen Pfad mit Dharmakaya, bedeutet das nicht, dass diese drei in einer linearen Weise praktiziert werden müssen, oder sogar, dass sie nur auf jenen Ebenen funktionieren und Effekte produzieren. Es gibt physische yogische Übungen im Dzogchen. Es gibt Meditationen über die Natur des Geistes im Sutra. Noch bedeutet es, dass wir auf die Methode eines jeden Pfades nur innerhalb des Pfades Zugriff haben. Jede Methode innerhalb des Buddhismus kann aus der Perspektive eines jeden Pfades gesehen werden und seine Übungen aus der jeweiligen Perspektive verstanden werden. Man kann durch einen jeden und alle diese Pfade Realisation erlangen und die Relevanz eines Pfades zur jeweiligen Zeit hängt davon ab, wo wir beginnen. Es ist sinnlos die M4 zu nehmen, um von Bristol nach Birmingham zu kommen, weil das eine Süd/Nord Reise ist und die M4 führt von Westen nach Osten. Aber wenn du deine Reise in Cardiff beginnst (im Westen), dann mag es Sinn machen, diese Straße wenigstens für einen Teil der Reise zu benutzen. Wenn wir allerdings mit dem Zug oder dem Flugzeug reisen, dann ist die M4 sowieso irrelevant.

Die Praxis des Ngöndro ist vorbereitend und fundamental. Jedes der Sets der grundlegenden Übungen kann als den ganzen Pfad beinhaltend angesehen werden und kann aus der sutrischen, tantrischen und dzogchen Perspektive betrachtet werden, wenn das Prinzip und die Funktion einmal verstanden worden sind. Ngöndro ermöglicht uns auf jeder Ebene und auf jede Weise, die geeignet ist, den buddhistischen Pfad zu betreten. Es liegt großer Nutzen darin, Erfahrung in jeder dieser Praktiken zu haben. Die Verbindungen und Vergleiche zwischen den Ebenen, die in der Tabelle unterhalb aufgeführt werden, sollten als locker und nicht als definitive Sicht betrachtet werden. Von der Übung der Niederwerfungen kann man sagen, dass sie mit dem sutrischen Pfad korreliert, indem sie durch die Vervollständigung einer enormen Anzahl dieser Übungen zu einem auf Erfahrung beruhenden Verständnis von Leerheit führt. Von Shi-né kann man auch sagen, dass es sich auf den sutrischen Pfad bezieht, weil es eine Übung des Loslassens ist und zur Realisierung der Leerheit des Geistes führt. Karma, Lama’i Naljor und Lhündrup führen uns in die Nichtdualität von Leerheit und Form ein, charakterisiert durch den Geschmack des Weges, den sie repräsentieren. Der Fokus der vier Gedanken ist unsere allgemeine Erfahrung; eine klare oder fokussierte Weise, die Dinge zu sehen, wie sie sind, gewonnen durch die tägliche Erfahrung in der Welt. Der Fokus der tantrischen vorbereitenden Übungen der Niederwerfungen, Mandalaopferungen, Ögyen Dorsem Rezitationen und Lama’i Naljor ist der Lama und die Umwandlung gewöhnlicher Erfahrung in verwirklichte Erfahrung. Der Fokus der vier Naljors des Dzogchen Sem-dé ist die Natur des Geistes, und erfordert die Fähigkeit sich jenseits von Materialität und Symbolismus zu begeben – in die Sphäre der direkten Erfahrung.

Die vier Gedanken, die den Geist auf die Praxis richten:
Die kostbare menschliche Geburt
Vergänglichkeit und Tod
Karma
Die Unzulänglichkeit von Samsara

Tantrisches Ngöndro:
Niederwerfungen mit Zuflucht und Bodhicitta
Ögyen Dorsem Rezitationen
Mandalaopferungen
Lama’i Naljor

Dzogchen Ngöndro:
Shi-nè
Lha-tong
Nyi-mèd
Lhündrup

This article first appeared in 2000.